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Umgangstipps mit Kritik für Online-Fantast*innen

In den letzten Wochen und Monaten gab es in Foren, Streaming-Formaten und Lese-Challenges der deutschsprachigen Fantastik-Bubble einige diskussionsbedürftige Ereignisse bezüglich Diversity & Repräsentation. Hier habe ich – auch als Auftakt für die #DiverserLesen-Challenge[1] – einige Tipps aus der Brille eines Diversity-Trainers und Social-Media-Redakteurs zusammengetragen, die ich in der akuten Phase eines Problems / einer Krise / einer Empörungswelle / eines „Shitstorms“ den beteiligten Verantwortlichen ans Herz legen möchte.

Kritik & Kritisierende ernst nehmen

Etwas kann nur durch Feedback und Kritik besser werden. Und mensch kann nur positiv damit umgehen, wenn berechtigte Kritik als Verbesserungspotential für die eigene Arbeit betrachtet wird. Seht es als eine Art Challenge, die gemeistert und überwunden werden muss und aus der ihr mit persönlichem Wachstum hervorgehen werdet. Und das bedeutet, es mit Abstand und kühlem Kopf zu betrachten – ohne AUSZURASTEN!!

Nehmt die Menschen, die Kritik ausüben, ernst. Es ist wichtig, dass sie direkt angesprochen werden und sich verstanden fühlen. Sie zu belehren, anzugreifen oder ihnen „unlautere“ Motive zu unterstellen, ist fatal. Sätze wie „Nein, du hast es anscheinend nicht richtig verstanden.“, „Das kann man doch auf unserer Website nachlesen.“, „Man muss es aber absichtlich falsch verstehen, um auf diesen Gedanken zu kommen.“ und „Wir meinen wirklich, wirklich alle, wenn wir von ‚divers‘ reden.“ sollten tunlichst vermieden werden. Worte wie „Twittermob“, „Schmutzkampagne“ und „Cancel Culture“ gehören zudem nicht ins Netz, sondern in die Tonne.

Sich ehrlich entschuldigen

Entschuldigt euch, falls es nötig ist. Es ist enorm wichtig, dass die angesprochene Kritik anerkannt und die Fehler oder Versäumnisse zugegeben werden. Eine ehrliche und klare Entschuldigung hält das Vertrauen aufrecht und betont euer Verantwortungsbewusstsein. Macht auf KEINEN Fall Gebrauch von verschwurbelten Formulierungen, die euch semantisch von jeglicher Verantwortung freisprechen. „Ich entschuldige mich bei allen Kolleg*innen für mein sexistisches, körperlich übergriffiges Verhalten am Arbeitsplatz.“ Ist etwas anderes als „Ich entschuldige mich bei allen Kolleg*innen, die sich von meinen rein kollegial aufmunternd und freundlich scherzend gemeinten Klapsen auf den Hintern sexuell belästigt gefühlt haben.“ Diese Taktik der Nonpology demonstriert Journalist Lorenz Meyer am Beispiel der „Entschuldigung“ von Moderator Steffen Hallaschka für die WDR-Talkshow-Wiederholung am 29.01.2021 „Die Letzte Instanz“, in der ausschließlich weiße Prominente rassistische Begriffe reproduziert und sie kleingeredet haben.[2]

Keine Täter-Opfer-Umkehr

Nicht die bösen Kritiker*innen sind schuld, die euch das Leben schwer machen wollen. Geht NICHT in die Opferhaltung und weist die Verantwortung nicht von euch. „Wie kannst du mich nur Rassistin nennen, weil ich was Rassistisches gesagt habe!? Das verletzt mich ungemein. Von dir hätte ich das nicht erwartet! Wieso tust du mir das an?“ Ist zum Beispiel nicht förderlich, sondern feige, verantwortungslos und perfide. Sehr gut demonstriert das Lena Richter mit einer langen Analyse auf Twitter anhand des Statements vom Eskapodcast auf eine Kritik von mir an der Folge „Zustand und Zukunft des Rollenspiels“: darin kamen nur weiße cis Männer zu Wort.[3] Ein weiteres Beispiel ist die vom Autor Michael Masberg durchgeführte Analyse des katastrophalen Statements vom Rollenspielverlag Ulisses, dessen Produkt „Wege der Vereinigungen“ rassistische Elemente enthielt.[4]

Keine Selbstlobhudelei

Bei einer Entschuldigung hat es um den aktuellen Sachverhalt zu gehen. Jedwedes Eigenlob oder das Hervorheben, was man sonst so alles toll (ge)macht (hat), relativiert das aktuell angesprochene Problem. Wird Kritik ausgeübt, weil ein Streamingkonzept nicht divers genug ist, soll bei der Entschuldigung nicht erwähnt werden, dass mensch sich wie in den letzten Jahren für Diversität einsetzen wird oder das Krankenhaus für krebserkrankte Kinder unterstützen wird oder für eine NGO, die sich für Geflüchtete in Europa einsetzt, Spenden sammelt. Ein überspitztes Beispiel wäre: „Wir entschuldigen uns dafür, dass wir die obdachlose Oma gestern verprügelt haben, aber wir werden uns weiterhin für ein humaneres Leben für obdachlose Menschen mit unserer mobilen Suppenküche einsetzen und unsere wichtige Arbeit fortführen.“

Kein Kleinreden

Das angesprochene Problem nicht kleinreden. Eine rassistische, sexistische oder anderweitig diskriminierende Aussage in einem Forum, in einem Chat, in einem Twitch-Stream ist eine zu viel. Hierbei gilt kein „Einmal ist keinmal!“ – das ist keine heimlich vernaschte Schokolade während einer Diät. The damage is done, da hilft kein „Das war doch nur ein Wort!“. Ähnlich wie zum Beispiel eine Werbung für IS in einem Batman-Comic oder die zwei ideologisch ernst gemeinten Worte „Heil Hitler“ in einem Studienbuch für angehende Mediziner*innen Scheiße ist, ist auch nur eine „klitzekleine“ rassistische Tabelle in einem 400 Seiten starken Spielbuch – nun – Bullshit!

Kein Tone Policing

Vermeidet Tone Policing. Berechtigte Kritik ist berechtigt – egal, ob sie höflich formuliert oder rausgeschrien wird. Tone Policing ist nichts weiter als Derailing (Ablenkung vom Thema). Statt den Inhalt der Kritik im Fokus zu behalten, wird der bisweilen/vermeintlich emotionale oder heftige Tonfall der Kritisierenden – somit auch ihre vermeintliche Unzivilisiertheit und fehlende Manieren – in den Vordergrund gestellt. So werden sie beschämt und mundtot gemacht (Silencing). Kritik ist nie angenehm zu hören und eine Erwartungshaltung wie „Kritisiere mich nur auf die Variante, die ICH möchte!“ ist fehl am Platz.

One-Voice-Policy

Egal, ob ihr einen Streaming-Kanal habt, ein Autor*innen-Forum führt oder gemeinsam mit anderen einen Podcast oder einen Verein leitet – achtet darauf, dass die Argumente und Einstellungen aller Beteiligten übereinstimmen – und zwar auf allen sozialen Kanälen. Auf der eigenen Website Standpunkt A bekanntzugeben, auf Twitter mit Standpunkt B zu argumentieren, auf Facebook Standpunkt C aufzuführen und im internen Forum Standpunkt D aufzuheizen, macht unglaubwürdig und verspielt noch das restliche Vertrauen.

Verantwortung übernehmen

In eurer Rolle als Podcaster*innen, Streamer*innen, Blogger*innen, Vereins- oder Forumsverantwortliche habt ihr eine Verantwortung. Egal wie klein, bedeutungslos, unwichtig oder wie auch immer ihr euch selbst in den sozialen Medien und speziell in der Szene wahrnehmt, ihr habt trotzdem eine Verantwortung: Eine Plattform, die Informationen nach außen sendet, ist – unabhängig der Reichweitenstärke – verantwortlich für die Inhalte, Moderationsformen und den Feedbackrahmen. Ihr seid – wie oft fälschlich angenommen – nicht unter Freund*innen oder in einem rechts- oder konsequenzfreien (virtuellen) Raum mit Gleichgesinnten, die exakt so denken wie ihr. Ein Positivbeispiel ist die Reaktion der Autorin Maja Ilisch, die den Online-Fantasy-Autorenkreis Tintenzirkel gegründet hat. Nachdem ein alter Thread mit reproduziertem Rassismus öffentlich kritisiert wurde und wieder Beachtung fand, schrieb sie eine ehrliche Entschuldigung, eine Zusammenfassung der Ereignisse, ohne zu beschönigen und eine klare Angabe der ersten unternommenen Schritte für die Aufarbeitung.[5]

Transparent kommunizieren

Es ist enorm wichtig, öffentlich in stetigem Dialog mit den Lesenden, Zuschauenden, Mitgliedern etc. zu stehen. Werden neue Maßnahmen ergriffen, Änderungen umgesetzt oder Erklärungen erarbeitet, sollten sie offen kommuniziert werden. Legt dar, welche Schritte ihr unternehmt, während ihr sie unternehmt und gewährt Einblicke in den Verbesserungsprozess bezüglich der ausgeübten Kritik. Änderungen in die Welt zu setzen, ohne den Reflexionsprozess und die Gründe für die neuen Entscheiduneng offen wiederzugeben, ignoriert die Mühe und emotionalen Belange der Kritisierenden und eventuellen Betroffenen, die sich anschließend meist nicht ernstgenommen oder respektiert fühlen. Jüngere Beispiele dafür sind die Umbenennung des Streamingkonzepts „Phantastisches Damenquartett“ in „Phantastische Seiten“ und der Challenge #WirlesenFrauen in #DiversErlesen[6], nachdem die exkludierenden Titel zurecht kritisiert wurden. Auf weitere Kritik wegen der fehlenden Transparenz meldeten sich die Verantwortlichen im zweiten Fall wieder zu Wort und schafften Klarheit.[7] Ein Negativbeispiel, was transparente Kommunikation (und andere No-Gos wie Tone Policing, fehlende One-Voice-Policy und Täter-Opfer-Umkehr) betrifft, ist dagegen das Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V. (PAN). Der Verein reagierte auf die Kritik für den Programpunkt „Rettet die Kunst vor den Moralaposteln“ für das Branchentreffen 2020 mit Empörung und exkludierendem Schulterschluss. Das führte nicht nur zum Austritt von diversen BPoC-Autor*innen, sondern auch zum Rückzug von laufenden Mitgliedschaftsanträgen.[8]

Schnell agieren

Lasst keine Zeit verstreichen. Setzt euch hin und erarbeitet eine Antwort, die Respekt, Verständnis und Bedauern ausdrückt. Entschuldigt euch und gebt an, wie ihr das akute Problem handhaben wollt und was ihr in Zukunft unternehmen werdet, damit es nicht nochmal vorkommt. Transparent, offen für einen Dialog und – nicht vergessen – ehrlich! Es ist nicht die Zeit, den Kopf in den Sand zu stecken und abzuwarten, bis das „Problem“ keine Aufmerksamkeit mehr auf sich zieht. Das ist ignorant und nicht professionell.

Nicht in Panik geraten

Egal, wie schlimm es sich gerade anfühlen mag, auch das geht vorbei. Stellt es euch wie das Ende einer Beziehung vor: Es hat vielleicht furchtbar geendet und zerreißt euch gerade das Herz und ihr könntet in eurer Wut die ganze Welt niederbrennen – aber denkt daran: Das wird auch vorbeigehen und irgendwann nicht mehr wehtun. Einatmen – ausatmen – und mit klarem Kopf darüber nachdenken, wie man nun erhobenen Hauptes und mit Würde das Problem handhaben kann.

Und hier noch ein großer abschließender Appell an alle Kritisierenden: Don’t stop! Kritisiert, schreit, macht Sachen öffentlich und kreidet an – öffentlicher Druck und mediale Sichtbarkeit sind wichtig, damit sich Sachen wirklich, wirklich, wirklich ändern!

Korrektorat: Aimée Ziegler-Kraska

Illustrationen: Oliver Hoogvliet


[1] Obermann, Eva-Maria: #diverserlesen 2021. 2021. URL: https://buchblog.schreibtrieb.com/diverserlesen-2021 (Zuletzt aufgerufen am 24.03.2021).

[2] Meyer, Lorenz. URL: https://twitter.com/shengfui/status/1356618412504584192 (Zuletzt aufgerufen am 24.03.2021).

[3] Richter, Lena. URL: https://twitter.com/Catrinity/status/1312750494994006021 (Zuletzt aufgerufen am 24.03.2021).

[4] Masberg, Michael: Nichts verstanden, wenig gelernt. 2018. URL: https://www.michael-masberg.de/nichts-verstanden-wenig-gelernt/ (Zuletzt aufgerufen am 24.03.2021).

[5] Ilisch, Maja: Ein Ort zum Wohlfühlen? 2021. URL: https://www.ilisch.de/blog/2021/02/ein-ort-zum-wohlfuehlen.php (Zuletzt aufgerufen am 24.03.2021).

[6] Obermann, Eva-Maria: #diverserlesen. 2021. URL: https://buchblog.schreibtrieb.com/diverserlesen-2021 (Zuletzt aufgerufen am 24.03.2021).

[7] Obermann, Eva-Maria. URL: https://twitter.com/Variemaa/status/1367184331161141250 (Zuletzt aufgerufen am 24.03.2021).

[8] Vogt, Judith & Christian: Austritt bei PAN e.V. 2020. URL: http://www.jcvogt.de/austritt-bei-pan-e-v/ (Zuletzt aufgerufen am 24.03.2021).