Zum Inhalt springen

SR-Files #004: Authenticity-Reader

Ein Bild im Sketchnote-Format. Eine Person sitzt mit angewinkelten Armen an einem Tisch. Die Person trägt ein gelbes T-Shirt und ein rosafarbenes Käppi. Auf dem Käppi steht der Schriftzug „Princess“. Die Person trägt Brille und hat einen Bart. In der rechten Hand hält die Person einen Stift. Rechts von der Person steht der Schriftzug „SR-Files #004“. In der oberen Hälfte steht groß und in Schwarz: "Authenticity-Reader".Authenticity-Reading ist eine weitere Bezeichnung für Sensitivity-Reading und wird im englischsprachigen Raum meist deckungsgleich verwendet. In deutschsprachigen Ländern hat sich dieser Begriff wiederum als alleinige Berufsbezeichnung (noch) nicht etabliert, auch wenn „Authentizität“ ein wichtiger Faktor beim Sensitivity-Reading ist, auf die fast immer verwiesen wird. Doch warum wird manchmal vorgezogen, statt „Sensitivity-“ von „Authenticity-Reading“ zu sprechen?

Eine Onlinesuche zu „Authenticity Reading“ fördert direkt englischsprachige Artikel wie „Authenticity Reading“[1], „Authenticity reading. Part 1: What editors need to know“[2], „Master Authenticity Reading. A Crucial Step in the Editing Process“[3] etc. hervor, die sich mit der Arbeit von Sensitivity-Reader*innen auseinandersetzen. Im deutschen finden wir den Begriff prominent im „Vielfaltsduden“ als Alternativbezeichnung:

Sensitivity-Reading (auch Authenticity– oder Diversity-Reading genannt) ist ein Fachlektorat zu Inhalten, die sensible Themen wie zum Beispiel Rassismus, Sexismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit oder Klassismus berühren.“[4]

Im selben Abschnitt wird auch eine eventuelle Notwendigkeit eines „Authentizitätschecks“ als ein Teil von Sensitivity-Reading definiert.[5] Weitere den Berufszweig erläuternde Texte heben die Authentizität hervor, wie auch die Webseite sensitivity-reading.de:

„Es geht um Authentizität und den sensiblen Umgang mit Marginalisierung und Diskriminierung.“[6]

Doch was ist unter Authentizität zu verstehen?

Authentizität

Laut dem Duden bedeutet Authentizität „Echtheit“ und „Rechtsgültigkeit“, und wer etwas authentifiziert, „bezeugt die Echtheit“ dessen oder „beglaubigt“ es im juristischen Sinne.[7] Die DWDS gibt für Authentizität folgende Definition an:

„Echtheit, Glaubwürdigkeit als Eigenschaft oder Zustand einer Sache oder Person“[8]

Hierbei kann es sowohl um eine die Rechtmäßigkeit festlegende juristische Praxis von Schriftstücken wie Testamente, Erstauflagen von Werken etc. gehen, als auch um weitere Sachverhalte, die als „original, echt, zuverlässig“ gelten. In den Medien kann es als authentisch titulierte Einheimische, Feste und Essen in Touristengebieten betreffen[9], eine authentisch dargestellte Krebserkrankung in einer Fernsehserie,  eine authentische Darstellung des Freitagsgebets in einer Moschee in einem Roman oder aber auch einen Menschen, der „natürlich“ und „unverstellt“ ist. In Großem und Ganzen weisen diverse Synonyme eine moralisch juristische (Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, Glaubwürdigkeit, Lauterkeit, Seriosität, Redlichkeit, Verlässlichkeit), ursprüngliche (Originalität, Echtheit) und persönliche (Unverstelltheit, Natürlichkeit, Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit) Bandbreite von Authentizität auf.

„Authenticity“ als Framing

Wenn Sensitivity-Reading und Authenticity-Reading  dasselbe meint, warum gibt es denn mehrere Berufsbezeichnungen? Die Antwort darauf finden wir in dem Phänomen „Framing“ oder „Framing-Effekt“.

„Allgemein bedeutet ‚Framing‘ [Rahmungseffekt], dass unterschiedliche Formulierungen desselben Inhalts das Verhalten des Empfängers unterschiedlich beeinflussen.“[10]

Es erweckt ein anderes Gefühl/Bild/Assoziation, wenn ich von „Klimawandel“ oder von „Klimakrise“ spreche. Während Klimawandel eine Gemächlichkeit suggeriert, ist Klimakrise akut und ruft jetzt zur Handlung auf – es wandelt nicht gemütlich, es ist da! Noch deutlicher ist es, wenn ich von „Menschen mit Migrationsgeschichte“ spreche oder von „Messermigranten“[11] oder von „Israel- und Judenhassern“ statt „Anti-Genozid-Demonstrant*innen“[12]. Selbst wenn es sich um Täter*innen handelt, findet eine Wertung statt, sodass der darauffolgende Inhalt je nach benutztem Begriff von den Rezipierenden anders wahrgenommen wird.

Bei „Authenticity“ und „Sensitivity“ nehmen wir ähnlich unterschiedliche Assoziationen wahr. Während eine „Authentizität“ infrage gestellt, überprüft und bezeugt werden kann – stimmt die Echtheit, die Originalität, die Glaubwürdigkeit? – kann eine Empfindlichkeit, eine Sensibilität als persönliches Befinden angeprangert und abgetan werden. Das hat auch zur Folge, dass mensch die eigene Ausdrucksweise nicht infrage stellt und die (Über-)Empfindlichkeit des Gegenübers dafür verantwortlich macht, dass diese das Gesagte als verletzend oder diskriminierend interpretiert. Authentizität gilt als objektiv, Sensibilität dagegen als individuell und subjektiv: Eine „verhunzende Empfindsamkeitspolizei“, wie Salman Rushdie über Sensitivity-Reading spricht[13], klingt demnach als „verhunzende Authentizitätspolizei“ weniger willkürlich.

Authentizitätsanspruch

Aber wie kann eine einzelne Person als Sensitivity-Reader dem Authentizitätsanspruch gerecht werden, wenn doch marginalisierte Gruppen selbst aus diversen Individuen bestehen und keine homogene Masse sind? Ich bin einer von vielen schwulen, muslimischen, cis Männern, die eine türkische Migrationsgeschichte haben und meine Lebenserfahrung kann ganz anders sein als die eines anderen schwulen, muslimischen, cis Mannes mit türkischer Migrationsgeschichte. Kann dann je von der einen einzigen Authentizität die Rede sein, wenn  es um Sensitivity-Reading geht? Eine Frage, der wir bei einem anderen Blogartikel auf den Grund gehen werden.

SR-Files ist eine Reihe, die sich kurz und knapp mit Fragen zum Sensitivity-Reading auseinandersetzt. Anregungen, Wünsche und Kommentare sind willkommen! 😊

Lektorat: Victoria Linnea

Sensitivity-Reading: Beccs Riley

Illustration: Oliver Hoogvliet


[1] Story Perfect Editing Services: Authenticity Reading. URL:  https://www.storyperfectediting.com/authenticity-reading/ (zuletzt aufgerufen am 27.05.2025).

[2] Shelley, Crystal: Authenticity reading. Part 1: What editors need to know. 2021. URL: https://www.ciep.uk/resource/authenticity-1.html (zuletzt aufgerufen am 27.05.2025).

[3] Hines, Pamela: Master Authenticity Reading. A Crucial Step in the Editing Process. URL: https://pdhines.com/authenticity-reading/ (zuletzt aufgerufen am 27.05.2025).

[4] Linnea, Victoria: Sensitivity-Reading. In: Pertsch, Sebastian (Hrsg.): Vielfalt – Das andere Wörterbuch. Berlin: Dudenverlag 2023, S. 198-199.

[5] Ebd: „Sensitivity-Reading wird von Verlagen, Selfpublisher*innen, Film- und Hörspielproduktionen in Anspruch genommen, wenn die Notwendigkeit besteht, einen Authentizitätscheck vorzunehmen oder die Stoffe diskriminierungssensibler zu gestalten.“

[6] Kırömeroğlu, Elif: Was machen Sensitivity Reader*innen? In: www.sensitivity-reading.de. URL: https://sensitivity-reading.de/was-machen-sensitivity-reader (zuletzt aufgerufen am 27.05.2025).

[7] Duden. Bd. 1: Die deutsche Rechtschreibung. Das umfassende Standardwerk auf der Grundlage der aktuellen amtlichen Regeln. 29. völlig neu bearb. und erw. Aufl. Hrsg. von Dudenredaktion. Berlin: Dudenverlag 2024, S. 248.

[8] „Authentizität“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache. URL https://www.dwds.de/wb/Authentizität (zuletzt aufgerufen am 27.05.2025).

[9] Kovac, Ariane: Was wir wirklich meinen, wenn wir „authentisch“ sagen. 2016. URL: https://www.heldenwetter.de/2016/06/authentizitaet-reisen-backpacking-kritik (zuletzt aufgerufen am 24.05.2025).

[10] Kerstgens, Judith: Farming: Eine Definition. 2023. In: FOCUS Online. URL: https://praxistipps.focus.de/framing-eine-definition_101382 (zuletzt aufgerufen am 27.05.2025).

[11] Goldmann, Fabian: Mythos vom »Messermigranten«. 2020. In: nd aktuell. URL: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1132001.rassismus-mythos-vom-messermigranten.html (zuletzt aufgerufen am 27.05.2025).

[12] Vgl. zur medialen Berichterstattung zu Israel und Palästina auch Goldmann, Fabian: Medien und Nahost: Anatomie eines Systemversagens. 2024. In: etos.media. URL: https://etosmedia.de/politik/medien-und-nahost-anatomie-eines-systemversagens/ (zuletzt aufgerufen am 27.05.2025)

[13] „Empfindsamkeitspolizei“ oder gerechtere Sprache? 2023. In: Deutschlandfunk Kultur. URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/roal-dahl-kinderbuecher-zensur-diskriminierung-sensibel-100.html (zuletzt aufgerufen am 27.05.2025).