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[Karneval der Rollenspielblogs] Ein Fall für die Rollenspielpolizei?

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Der diesmonatige, von dnalorsblog organisierte, Karneval hat das Thema „Halt, Polizei!“ Da seit der Veröffentlichung von „Roll Inclusive“ uns Herausgebenden immer wieder vorgeworfen wird, wir würden als linksradikal ausgerichtete Rollenspielpolizei mit einem mahnenden Finger durch die Gemeinde tingeln, nehme ich zum ersten Mal beim Karneval der Rollenspielblogs teil. Hier kommt nun ein Schwall an unzusammenhängenden Gedanken, der einige Vorkommnisse sammelt und einfach mal fragt, ob das ein Fall für die Rollenspielpolizei sei? Und da wir uns alle in der Rollenspielcommunity ganz doll lieb haben, sehr inklusiv, liberal und bunt sind und es eine unverzeihliche Transgression ist, jemanden auf eigens verursachte Missstände hinzuweisen, sind diese Gedanken rein hypothetische Ausgeburten meiner Fantasie – und es soll sich, Göttin bewahre, niemand angesprochen fühlen. Fangen wir an!

Wäre es ein Fall für die Rollenspielpolizei, …

  • wenn ein RPG-Podcast im Jahre 2020 eine Folge zur Zukunft des Rollenspiels macht und in unserer diversen, bunten, inklusiven und liberalen Rollenspiel-Community dazu nur weiße cis-hetero Männer befragt?
  • wenn ein weißes cis-hetero Rollenspiel-Urgestein in diesem Podcast behauptet, das Hobby Rollenspiel sei durch „inhärente Empathie“ gut gegen Rassismus und Sexismus aufgestellt?
  • wenn ein Moderator dieses Podcasts beim „Splittermond“-Workshop, den er leitet, sagt: „Ich bin nicht mehr im Frankenland, also darf ich nicht mehr [N-Wort] sagen“? Oder übersehe ich hier vielleicht die inhärente Empathie?
  • wenn derselbe Moderator dieses Podcasts sich vehement gegen die Einführung von gendersensibler Sprache in „Splittermond“ einsetzt?
  • wenn derselbe Moderator auf der Main Würfel Con 2019 Diversität im Rollenspiel in Grund und Boden redet? Mir diverse Leute daraufhin separat schreiben, wie schlimm sie das fanden? Und ebenfalls schreiben, sie haben sich nicht getraut, ihm was entgegenzuhalten?
  • wenn all diese interviewten weißen Männer nicht daran denken nachzufragen, wen der Podcast-Moderator noch interviewen wird? Komisch, denn ich frage immer nach, wer außer mir noch eingeladen und interviewt wird, damit ein diverses Bild gewährleistet wird – und ich kann jetzt ein Dutzend Personen aus der Rollenspielbranche aufzählen, die es genauso tun. Vielleicht fehlt ihnen aber auch diese inhärente Empathie?

Vielleicht … aber auch nur vielleicht … liegt es auch an dieser inhärenten Empathie, dass weiße cis-hetero Männer von inhärenter Empathie und von einer guten Aufstellung gegen Rassismus und Sexismus fabulieren. Vielleicht liegt es auch an dieser inhärenten Empathie, dass solche Fragen nur an weiße cis-hetero Männer gestellt werden, da diese inhärente Empathie nicht erfordert, nicht-Heteros, nicht-Cis-Personen, nicht-Weiße und nicht-Männer zu fragen? Vielleicht reicht diese inhärente Empathie auch völlig aus und spricht für alle – natürlich aus dem Mund eines weißen cis-hetero Mannes. Vielleicht liegt es auch an dieser inhärenten Empathie, dass dieser Podcast in mehr als 150 Folgen nicht einmal genderneutrale Sprache, Rassismus oder Diversität als Thema hatte? Vielleicht … aber was weiß ich denn schon. Ich bin doch nur eine schwule PoC.

Machen wir weiter: Wäre es ein Fall für die Rollenspielpolizei …

  • wenn ein ehemaliger Redakteur von „Space 1889“ mir empört erklärt, dass es doch niemanden schadet, wenn die Spielenden in seinen Rollenspielrunden homofeindliche Sprüche verwenden, ich sei ja nicht dabei?
  • wenn weiterhin das N-Wort locker-flockig auf internen Rollenspielwochenenden verwendet wird, an denen ausschließlich weiße Rollenspielschaffende vertreten sind? Und nur weiße Zerbrechlichkeit zu Tage kommt, falls sie darauf angesprochen werden?
  • wenn Rollenspielverleger (ausschließlich weiß, männlich, cis-hetero) mir schreiben, dass sie dieses genderneutrale Schreibdings nicht möchten und ich Kompromisse eingehen müsse – auch wenn ich sie darauf hinweise, dass sie dadurch nonbinäre Personen bewusst in ihren Produkten ausschließen?
  • wenn unter einem Artikel über Rassismus im Brettspiel ein langjähriger, weißer, cis-hetero Rollenspielautor „Blablabla!“ kommentiert, und ich mich wieder darin bestärkt sehe, dass die Bedenken von BPoC in Rollenspielcommunitys nicht ernst genommen werden?
  • wenn Sensitivity Reading in einem Rollenspielverlag als Feigenblatt missbraucht wird?

Wir haben jetzt auch Sensitivity Reading! Ja, ja!

Nehmen wir mal an, ein großer Rollenspielverlag hätte zu seiner Online-Hauscon einen sexistischen Gamer / YouTuber eingeladen und wäre nicht in der Lage, auf diesbezügliche Kritik respektvoll einzugehen. Und der Verlag würde auch – rein hypothetisch – betonen, dass sie ja jetzt eine eigene Personalstelle für Sensitivity Reading erstellt hätten:

„Hallo,

Erstmal vielen Dank für eure offenen Worte. Wir haben euren Brief sehr aufmerksam gelesen. Wie ihr ja sicherlich mitbekommen habt, haben wir inzwischen auch eine eigene Personalstelle für Sensitivity-Reading. Die Gäste, die wir auf unsere Veranstaltungen einladen, machen wir immer auch auf unsere Anti-Harassement-Policy aufmerksam und achten auch auf die Einhaltung. Wir können und wollen in der Regel allerdings nicht beurteilen was unsere Gäste in den letzten Jahren öffentlich geäußert haben. Wir gestehen jedem Menschen das Recht zu sich geändert zu haben.

Beste Grüße,

Hypothetische*r Marketingmanager*in“

Wenn man jedem Menschen zugesteht, sich zu ändern und man in der Regel nicht beurteilen kann und will, was sie öffentlich geäußert haben, wird der Stargast auf der nächsten Verlagscon dann Christian Lüth sein? Oder ist das nur bei Sexismus der Fall? Und was hat Sensitivity Reading mit der kritisierten Sache zu tun? Lässt sich mit Sensitivity Reading etwa alles entschuldigen oder wird die zuständige Person für Sensitivity Reading von nun an auch die Gästelisten durchgehen? Oder ist das alles doch nur ein Feigenblatt und eine Blendmasche, auch wenn die zuständige Person auf Online-Workshops und Rollenspiel-Zukunftstalks das Gegenteil behauptet? Wäre das jetzt alles nicht rein hypothetisch, würde ich mich als Sensitivity Reader und Diversity Trainer mit meiner Arbeit und Integrität vom Verlag massiv hintergangen und missbraucht fühlen. Aber die Realität ist ja zum Glück bunt, divers, inklusiv, liberal und inhärent empathisch. 

Fazit?

Der Umgang mit der Rollenspielpolizei ist im Grunde sehr einfach: Jede Person kann ihre Rollenspielrunde so rassistisch, sexistisch, ableistisch, antisemitisch, antifeministisch, rechtsextrem, pro-Vergewaltigung etc. gestalten wie sie will. Dann sollte sie aber auch damit rechnen, dass sie kritisiert wird – nur weil es ein Spiel ist, hat niemand einen Freifahrtschein, um Scheiße zu reproduzieren, die andere Menschengruppen verletzt oder dehumanisiert. Wollt ihr eure schwulenfeindliche „Space: 1889“-Runde so weiterspielen, dann bleibt mir fern und erwartet keine Absolution.

Wobei ich mich, offen gesagt, gar nicht wie ein Rollenspielpolizist fühle. Ich komme mir eher vor wie der BPoC, der wegen Racial Profiling und Rassismus als Täter hingestellt wird, während er die Probleme anspricht, die die weiße Mehrheits-Rollenspielpolizei leugnet: „So was gibt es bei uns nicht!“ Wir sind ja doch alle so knuffig divers, bunt, inklusiv und liberal! Vielleicht bin ich auch einfach nicht weiß und hetero genug, um diese inhärent empathische Brillanz der Rollenspielcommunity zu erkennen.

Korrektorat: Aimée Ziegler-Kraska

Illustrationen: Oliver Hoogvliet